„Die Zukunft der Streuobstwiesen liegt in der Diversität“
Streuobst-Experte Josef Weimer erklärt, welche Folgen der Klimawandel für Streuobstwiesen hat
Derzeit ist es nass und kalt. Doch hinter uns liegen einige Sommer mit ungewöhnlichen Hitze- und Trockenperioden. Der Streuobst-Experte Josef Weimer erklärt, was sich praktisch tun lässt, um Bäumen im Trockenstress zu helfen, warum Vielfalt im Klimawandel eine besonders wichtige Rolle spielen wird und was ihn trotz aller großen Herausforderungen optimistisch stimmt.
Herr Weimer, wie nehmen Sie den Klimawandel im Alltag wahr?
Schauen Sie durchs Fenster: Es ist Mitte Januar, und draußen treiben die Knospen viel zu früh. Das heißt: Der Jahreslauf, wie wir ihn kennen, kommt durcheinander. Zu heiß, zu trocken, zu wenig Winterkälte, die Witterungsextreme nehmen zu. Während meiner Kindheit waren 30 Grad im Sommer normal. Heutzutage messen wir 35 Grad oder sogar 38 Grad Celsius. Pflanzen, Tiere und Böden reagieren auf diese klimatischen Veränderungen.
Können Sie ein Beispiel nennen, wie sich das trockene und heiße Klima auf Streuobstwiesen und im Wald auswirkt?
Die Standfestigkeit der Bäume verschlechtert sich dramatisch. Rüttelt man heute an Bäumen, die vor fünf Jahren noch stabil waren, wackeln sie. Die Trockenheit beeinträchtigt die Wurzelbildung im Boden und lässt junge Bäume früh vergreisen. Außerdem sehe ich, dass im Sommer Sonnenbrand auf Rinde und Früchten entsteht. Das gab es früher so nicht. Eine weitere Folge ist, dass klimagestresste Bäume für Schädlinge und Krankheiten anfälliger werden, vor allem in von Monokulturen geprägten Wäldern.
Wie können wir den Streuobstbäumen im Klimastress helfen?
Einmal gibt es natürlich ganz konkrete Dinge: Beim jungen Baum die Baumscheibe hacken, um den Boden zu öffnen, damit Wasserkonkurrenz der Gräser verschwindet. Im Vergleich zu früher lasse ich im Frühjahr und Sommer mehr Laub in den Bäumen, das beschattet und wirkt wie eine Sonnencreme auf der Baumrinde. Ich bedecke die Baumscheibe, also den Bereich um den Stammfuß herum, mit dem ersten Grasschnitt des Jahres, damit die Bäume besser durch den Trockenstress kommen. Es ist empfehlenswert, sandige Böden mit Tonmehl zu verbessern und tonige Böden mit Sand. Und während der großen Sommerhitze fahre ich mit dem Wasserfass raus, um den jungen Bäumen zu helfen. Hacken, Wassergabe, Düngung, all das ist wichtig. Aber etwas anderes ist noch viel wichtiger.
Das müssen Sie erklären.
Für den Klimawandel suchen Menschen oft nach einfachen Antworten. Doch wir sollten den Klimawandel als komplexe und vielschichtige Situation begreifen. Das ist ein Prozess, der viel länger als ein Menschenleben dauern wird und der auf ganz lange Sicht die Rahmenbedingungen für Streuobstwiesen verändern wird. Es existieren keine einfachen Lösungen und vorgefertigten Handlungsmöglichkeiten, die man einem Lehrbuch entnehmen kann.
Wo finden sich Antworten?
Dafür ist ein Ausprobieren und Experimentieren im Kleinen nötig, ganz praktisch und vor Ort auf der eigenen Wiese. Welche Baumarten kommen mit diesem speziellen Boden und den neuen klimatischen Bedingungen zurecht? Wir brauchen eine ständige Suchbewegung, um auf eigene Faust gute Handlungsoptionen für das Streuobst im Klimawandel zu erkunden. Ich wünsche mir da einen Dialog auf Augenhöhe von Obstbauern, Praktikern, Naturschützern und Wissenschaftlern. Wir sollten angesichts der Herausforderungen in ein gutes Gespräch kommen.
Inwiefern verändert der Klimawandel die Rahmenbedingungen für die Streuobstwiesen?
Ein Beispiel. Ich habe seit langer Zeit drei Streuobst-Standorte: Einen Nordhang, einen Südhang und eine Tallage mit Bachlauf. Vor 40 Jahren war der Nordhang noch ein eher problematischer Standort ohne Sonne und mit kleinem Ertrag. Damals freute ich mich mehr über den ertragreichen und schorffreien Südhang. Doch mit den Klimaveränderungen änderte sich das: Etwas, das früher negativ war, wurde positiv. Heute ist der Nordhang meine Ertragslage. Der Südhang ist in heißen Sommern ohne Ende gestresst. Andererseits gedeiht es dort in regenreichen, nassen Sommern besonders gut. Und in der Tallage mit mehr Feuchtigkeit wachsen die Zwetschgen bestens am Bachlauf.
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?
Die Zukunft der Streuobstwiesen liegt in der Diversität. Je größer die Vielfalt, desto besser. Meine Erfahrung ist: Jeder Ort hat seine Qualitäten, und es ist empfehlenswert, verschiedene Standorte zu haben. Das schafft in Zeiten der klimatischen Extreme einen Ausgleich, und man hat immer Obst. Aber nicht nur die Diversität in den Lagen wird wichtiger, sondern auch bei Arten und Sorten.
Was haben Sie in dieser Hinsicht beobachtet?
Quitten, Mostbirnen und Kirschen kommen besser mit der Trockenheit zurecht. Bei den Apfelsorten sehe ich, dass sich auf dem Südhang zum Beispiel die regionale Sorte Roter Bürgstädter in der Hitze sehr vital zeigt. Während viele moderne Apfelsorten im neuen Klima oft kläglich versagen, gibt es Gattungen und Sorten, die mit Trockenbedingungen gut klarkommen. Das näher zu erkunden finde ich sehr wichtig, und das meinte ich mit Ausprobieren und Experimentieren. Ich denke, es wird darauf ankommen, Streuobstwiesen mit möglichst unterschiedlichen Gattungen zu gestalten. Warum nicht neben Apfelbäumen auch Marillen und Nussbäume pflanzen? Und Birnen- und Quittenwein schmecken auch gut. Je vielfältiger, desto gesünder die Fläche.
Klimawandel ist ein sehr langdauernder Prozess. Wie macht man seine Streuobstwiese zukunftsfähig?
Neben der Vielfalt von Gattungen, Sorten und Fläche geht es darum, die richtigen Baumarten und Standorte zu kombinieren. Wir haben es mit sehr langlebigen Pflanzen tun, ein Apfelbaum kann 120 Jahre, ein Birnenbaum 300 Jahre alt werden. Die langfristige Perspektive sollte wichtiger sein als kurzfristige Renditeerwartungen. Und was die Baumpflege angeht: Das Wichtigste ist, Gleichgewicht in einen Baum zu bringen – das Gleichgewicht zwischen Trieb einerseits und Frucht andererseits. Dann kommt er viel besser durch Stressphasen, das ist genauso wie beim Menschen. Klar ist: Die Bäume brauchen angesichts des Klimawandels zunehmend die Zuwendung von uns Menschen.
Zum Schluss eine Frage zur gerade neu gestarteten Ausbildungsgruppe des Jahreskurses „Zertifizierter Landschaftsobstbauer“. Wie war es denn?
Als Kursleiter hatte ich den Eindruck: Das Engagement ist groß, die kommen, weil sie echtes Interesse haben. Das hat mir gut gefallen, und hat mich auch berührt. Ich glaube, es ist wirklich gut, dass wir diese Jahresfortbildung machen. Ich freue mich sehr, dass der Regionalverband mit seinem Ersten Beigeordneten Rouven Kötter das Thema Streuobstwiesen mehr in den politischen Fokus genommen hat. Er hat den Kurs auch selbst besucht, ebenso wie einige Bürgermeister der Region. Das ist eine gute Entwicklung, denn wir brauchen viele Akteure und ein breites Verständnis, um unsere Streuobstwiesen nachhaltig für die Zukunft zu sichern.
Josef Weimer (68) ist Gärtnermeister, Gartenbaulehrer und Streuobstexperte. Für den Regionalverband FrankfurtRheinMain betreut er den Jahreskurs „Zertifizierter Landschaftsobstbauer“, der sich an die Mitgliedskommunen richtet. Weimer stellt derzeit sein neues Buch zur „Gestaltung von Landschaftsobstbäumen“ fertig. Das Handbuch für die Ausbildungspraxis bildet die Quintessenz seiner 50-jährigen Beschäftigung mit dem Streuobst ab.
Interview: René de Ridder (Regionalverband)
Weitere Infos zum Thema „Streuobst“ gibt es auf dem Streuobst-Portal sowie beim Streuobstbeauftragten des Regionalverbandes Bastian Sauer unter sauer@region-frankfurt.de.